"Der einzige Weg, nicht kritisiert zu werden, ist nichts zu tun und von niemandem dabei gesehen zu werden."

- Marci, Alexander

 

Dieses Werk hat uns schon nach den ersten paar Sätzen einen guten Eindruck gemacht, da wir sehr leicht durch veraltete oder aussergewöhnliche Ausdrücke zu unterhalten sind. Das war aber nur der Beginn unserer Verlockung zur Lektüre. Von Paragraph zu Paragraph wurde unser Interesse immer mehr durch die verwendeten Redearten, Formulierungen und Beschreibungen geweckt, bis wir uns endgültig entschieden haben, uns mit diesem Werk zu befassen. Im Grunde erlebten wir, übertrieben gesagt, ein kleines Erfolgserlebnis, als wir erkannten, wie ansprechend diese Geschichte geschrieben ist. Der überzeugende Faktor soll also der Schreibstil gewesen sein, aber bevor wir das genauer beschreiben, gehen wir auf noch auf die anderen nötigen Informationen ein...   

   

Zum Autor

Arthur Schnitzler wurde am 15. Mai 1862 in Leopoldstadt, Wien geboren und verstarb am 21. Oktober 1931 aufgrund einer Gehirnblutung. Er scheint die Namen mancher Figuren dieses Werkes aus seinem echten Leben übernommen zu haben, da der Bube Joseph, denselben Namen wie sein Bruder und Mizi denselben Namen wie eine seiner ehemaligen Liebhaberinnen besitzt. Das Spiel im Morgengrauen ist zum ersten Mal in der Berliner illustrierten Zeitung Ende 1926, Anfang 1927 als eine Erzählung publiziert worden. Seine zahlreichen Beziehungen mit dem anderen Geschlecht scheinen oft unglücklich geführt, unglücklich beendet worden oder beides gewesen zu sein. 1879-1884 machte er sein Studium der Medizin an der Universität Wien, währenddessen trat er 1 Jahr als Freiwilliger in den Militärdienst am Garnisonsspital in Wien ein und hat danach in Medizin promoviert. Ab 1890 gehörte er gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal zum Kreis der "Wiener Moderne" an. Er war einer der bedeutendsten Kritiker der österreich-ungarischen "K und K"-Gesellschaft. 1993 hat er seine Stelle im Krankenhaus aufgegeben, um eine Privatpraxis zu eröffnen und sich verstärkt der Schriftstellerei zuzuwenden. Sein Werk Reigen konnte aufgrund von Zensur 24 Jahre lang nicht aufgeführt werden. 1899-1930 schrieb Arthur vielzählige Dramen, teils sozialkritisch, teils psychologisch und zählte zu den meistgespielten Dramatikern auf deutschen Bühnen. 1901 wurde Schnitzler, durch seine Äusserungen in seinem Werk Leutnant Gustl, welches die Ausdrucksform des inneren Monologes als neue Ausdrucksform in die deutsche Literatur einführte und als Angriff auf den Ehrenkodex des österreichischen Militärs galt, der Rang eines Reserveoffiziers aberkannt. Er war einer der wenigen in Österreich-Ungarn, die die Kriegsbegeisterung vor dem Ersten Weltkrieg nicht teilten. Ab 1921 isolierte er sich zunehmend wegen psychischer und physischer Probleme, die ebenfalls aus einer Scheidung hervor rührten. 1923 wurde er Präsident des PEN-Clubs, und sein letzter Erfolg war das Erhalten des Burgtheaterrings. 

 

 

Zur Form und zum Inhalt (Spoiler-Alarm nach der Textlücke bis zur freien Zone)

Beim Spiel im Morgengrauen handelt es sich um eine Novelle, das bemerkt man hauptsächlich an seiner Kürze, seinen wiederkehrenden Symbolen und seinem hohen Anteil an vordergründig gehaltenen Charakteren, nur scheint die Figurenanzahl den Einen oder Anderen vielleicht daran zweifeln zu lassen.

 

Im Buch lässt sich Willhelm Kasda als die Hauptfigur identifizieren, von der in der dritten Person erzählt wird. Er ist ein junger Leutnant, der zu Beginn der Geschichte Besuch von seinem alten Freund Otto von Bogner bekommt. Otto bittet Willi um Gulden, die er sich verschuldet hat. Der Leutnant verspricht ihm 1000 Gulden, die er ihm auf seinem nächsten Ausflug bei einem Hasardspiel beschaffen wird. Willi hat einen Glückstag und verdient mehr als genug Gulden. Nachdem sich seine Verabredung dieses Tages ohne ihn versetzt hat, kehrt er an den Kartentisch zurück. Er hat wieder Glück und kommt mit 2000 Gulden davon und feiert mit seiner Spielerpartie, bis er wieder zurück nach Hause gehen will, wird aber von Fräulein Kessner (seine Verabredung), die sich zufälligerweise im selben Restaurant befindet, abgelenkt und verpasst seinen Zug. Willi nimmt dann eine Kutsche zurück in das Café, in dem er spielte und gesellte sich wieder zu den anderen Spielern. Obwohl er an einem Punkt 4200 Gulden besitzt, entscheidet er sich, weiterzuspielen, was ihm zum Verhängnis wird. Denn schlussendlich treibt er sich 11000 Gulden Schulden beim Konsul ein, die er ihm schon am nächsten Tag zurückgeben muss, sonst würde Willi seinen Offizierstitel verlieren. Er versucht noch bei seinem Onkel Robert nach Gulden zu fragen, jedoch hat er sein Vermögen an seine Frau Leopoldine übergeben, die zufälligerweise einer von Willis kurzen intimen Bekanntschaften war. Er sucht sie auf und bittet sie dann ebenfalls um Hilfe. Sie antwortet nur, dass sie es mit ihrem Anwalt besprechen wird. Darauf lässt es sich Willi für den Rest des Tages gut gehen, bis Leopoldine persönlich bei ihm vorbeikommt, um sich mit ihm zu unterhalten. Das tun sie auch, vielleicht ein bisschen zu sehr, denn nach einem gemeinsamen Essen, Kuss und reichlich Alkohol landen die beiden erneut zusammen im Bett, worauf sie eine Nacht zusammen verbringen. Am nächsten Morgen machte Leopoldine Willi genauso zur Dirne, wie er es vor einiger Zeit mit ihr getan hat, indem sie ihn frühzeitig mit 1000 Gulden für den Abend zurücklässt. Er ist verzweifelt, befiehlt Joseph, dass er die 1000 Gulden an Otto schicken, ihn marod melden und nicht die Tür öffnen soll, die er abschliesst, sobald Joseph sein Zimmer verlässt. Später stehen Otto und der Regimentsarzt vor Willis Tür und verlangen von Joseph, sie zu öffnen. Als sie eintreten, sehen sie Willhelm mit einem Revolver in der einen Hand leblos auf dem Diwan des Zimmers sitzen. Anschliessend kommt Robert dazu und will Willi die 11000 Gulden zeigen, die er von Leopoldine erhalten hat, aber leider kommt er zu spät. Am Ende riecht Robert noch das Parfüm seiner Frau und fragt Joseph, ob Willi gestern Besuch hatte. Darauf antwortet Joseph auf Willis Wunsch, dass es nur ein Freund gewesen sei. Das Letzte, was in der Geschichte geschieht, ist, dass die Kommission eintritt. 


Zu unserer Meinung

 

Das Ende

Der Schluss der Geschichte ist uns nach sehr gelungen. Als wir die Lektüre beendet hatten, redeten wir weiterhin darüber, wie das Ende noch hätte aussehen können. Nach einigen Ansätzen waren wir uns einig, dass das Original kaum verbessert werden kann, was wirklich etwas heissen muss. Die 1000 Gulden von Leopoldine, die Otto zu Willi brachten, der Regimentsarzt, der sich aufgrund der Abmeldungen Willis sorgen macht und sich darauf ebenfalls bei ihm blicken lässt und Robert, der geradeso noch zu spät kam, um Willi den Rest der Gulden zu geben. Alles wäre gut gewesen, wenn Willi nicht in der Verfassung gewesen wäre, in der er war, wahrlich tragisch.  

 

Sympathie für Willi und andere Figuren

Da der Schluss des Werkes schliesslich ein grausames Ende für Kasda bedeutet, sollten wir als Leser vermutlich über seinen Tod trauern oder ihn feiern, damit sich der Tod auch wirklich für das grosse Ganze der Geschichte lohnt. Nur war das etwas kompliziert, denn man erfährt recht spät im Buch, dass Leopoldine nur Kasdas Liebe wollte und er sie Betrug fühlen gelassen hat und sie indirekt zu einer Dirne machte, was uns als Leser das Bild von Kasda etwas beschmutzt. Zuerst will man, dass er gewinnt, weil er seinem Freund in Not helfen will, aber nachträglich erfahren wir, dass er auf eine gewisse Weise ein Leben ruiniert hat. Uns fiel es am Ende somit schwer, irgendwelche starken Emotionen zu verspüren, denn das Einzige, was uns dann übrigblieb, war die Tragödie um Roberts Ehe, wobei er wahrscheinlich mit etwas Abstand am meisten charakterlich ausgebaut wurde, was zwar schön war, aber sich leider wie eine kleine Ausnahme angefühlt hat. Denn so gut wie alle anderen Figuren dieser Geschichte wurden eher anhand ihrer alltäglichen Reaktionen, Entscheidungen, Ausdrucksweisen und Berufe personifiziert, welche diesen interessanten Charakteren nicht gerecht wird. Eine der wenigen Enttäuschungen unserer Lektüre beruht also auf der fehlenden Vertiefung mancher Figuren.

  

Moral

Auf den ersten Blick lässt sich ganz leicht der Satz "lass dich nicht auf Glücksspiele ein!" aus diesem Werk herauskristallisieren, da Willhelm sich in seiner Verzweiflung durch den Verlust das Leben nimmt. Für uns spielte jedoch ebenfalls Kasdas Schicksal in Verbindung zu Otto eine grosse Rolle, denn ohne Ottos Besuch und Willhelms Einverständnis wäre die ganze Geschichte nicht so verlaufen, wie sie es tut. Wir stellten uns die Frage, ob man sich auf Hilfeleistung einlassen sollte, wenn man sich selbst geradeso über dem Wasser hält, wie Kasda es zum Zeitpunkt Ottos Besuches tat. Die Schulden Ottos fühlen sich später in der Geschichte wie ansteckend an, ein Zufall nach dem anderen und man ist plötzlich nicht mehr der Helfende, sondern der Hilflose. Uns nach ist das eine schöne, realistische Aussage, die man sehr gut auf das echte Leben anwenden kann, gibt man nämlich alles für die Ehre, verliert man auch alles für die Ehre, was zwar nicht hätte sein müssen, aber wenn wir Leser der Lektüre alle gestehen müssten, würden wir uns sehr wohl einig sein, dass Kasdas Schicksal des Hochmuts vor dem Fall auf seiner Stirn geschrieben stand, es ist das zentrale Element der Erzählung, er versucht die Schuld eines anderen zu begleichen, was ihn in dasselbe Loch reisst.

Wir empfinden also den Rat: "Achte auf deine Lage, bevor du die eines anderen zu retten versuchst!" als recht bedeutungsvoll und präsent im Leben der meisten von uns.



Spoiler-freie Zone

 

Sprache

Wie oben erwähnt, gefiel uns die Art wie die Geschichte geschrieben und verbildlicht wurde. Zitate und Dialoge sind zum Teil in der damals gängigen Redeart verfasst und fühlen sich realistisch an. Manche Konversationen zwischen Figuren waren unterhaltsam zu verfolgen, zwar ab und zu etwas seltsam, aber sie bringen den perfekten Abwechslungsfaktor in die Geschichte. Abgesehen davon, dass sie manchmal nicht erzählungstechnisch die Handlung voranbringen, vermitteln sie, wenn nicht auch subtil, die Einstellungen, Emotionen, Bedürfnisse und Machtpositionen der unterschiedlichen Figuren mit ausreichendem Raum für Interpretation und Ungewissheit.

 

Unterhaltung und Spannung

Die Spannung dieses Werkes ist exzellent eingeteilt, das liess sich einfach beweisen, indem wir uns nach jeder Seite, die wir gelesen hatte, wunderten, was wohl als Nächstes passieren würde. Oft diskutierten wir nach jeder Seite, die wir gelesen hatten, über die Geschichte, wie sie enden wird und was uns alles amüsiert hat.

 

Unterhalten wurden wir hauptsächlich durch bizarres Vokabular, merkwürdige Reaktionen von Figuren und die Verfilmung des Werkes, die wir uns angesehen haben, wobei die meisten dieser Aspekte vermutlich nicht unterhaltsam wirken sollen. Aus diesem Grund werden wir ein kleines Beispiel für einen unterhaltsamen Moment, der als solcher auch fungieren soll, anhand einer Szene verweisen:

Nachdem Willi Joseph befahl zu melden, dass er sich wegen eines Termines mit dem Augenarzt freinimmt, kehrte Joseph wieder zu ihm zurück, (SiM, 9. Kapitel):

" [...] Und haben S' mich marod gemeldet?" – "Jawohl, Herr Leutnant.« Und da Willi sah, wie der Bursche grinste, fragte er: "Was lachen S' denn so dumm?" – "Melde gehorsamst, wegen dem Herrn Hauptmann. – "Warum denn? Was hat er denn g'sagt, der Herr Hauptmann?" – Und immer noch grinsend, erzählte der Bursche: "Zum Augenarzt muß der Herr Leutnant, hat der Herr Hauptmann g'sagt, hat sich wahrscheinlich in ein Mädel verschaut, der Herr Leutnant." – Und da Willi dazu nicht lächelte, fügte der Bursche etwas erschrocken hinzu: "Hat der Herr Hauptmann gesagt, melde gehorsamst." – "Abtreten", sagte Willi."

Diese Konversation wurde übrigens buchgetreu in die Verfilmung integriert, was uns erfreute. 

 

negative Aspekte Minuspunkt Pluspunkt positive Aspekte
unvollständige Erzählung X vollkommene Geschichte
nutzlose Abschweifungen X oft konzentriert auf das Wesentliche
unpassendes Genre X bleibt dem Genre treu
aufdringliche Vermittlung X spricht auf angenehme Weise den Leser an
Man weiss als Leser genau was passieren wird X (Leopoldine-Arc hat uns dennoch überrascht, aber nicht wie es endete) Das Werk ist nicht zu vorhersehbar
Die Lektüre nützt einem nichts X Man kann vom Buch lernen
unnötig in die Länge gezogen X passende Länge
Der Schreibstil ist anstrengend X Der Schreibstil fühlt sich gut zu lesen an
Das Ende enttäuscht X Das Ende lässt nicht zu viel Freiraum/ist nicht zu offen/stellt einen zufrieden
Teilweise sind Sätze verwirrend formuliert X Das geschriebene ist so gut wie immer glassklar
oberflächliche Charaktere, kaum Entwicklungen X (ausser Robert) tiefgründige Charaktere und Entwicklungen
langweilige Lektüre X spannende Lektüre
Die Nachricht des Werkes ist sinnlos X Die Nachricht des Werkes ist bedeutungsvoll
zu strikt einpfadig X vielfältig
Elemente werden vorgestellt, dann aber oft vergessen X Das Potential der Elemente wird oft ausgeschöpft
Hauptfigur hinterlässt kaum (guten) Eindruck X sympatische Hauptfigur
nicht genügend Struktur X klarer Aufbau
Eine Geschichte wie jede andere X einzigartig
zu sachlich X Hat Charakter
Titel und Titelbild werden dem Buch nicht gerecht X Titel und Titelseite beschreiben/verbildlichen das Buch gut

Auswertung

Gesamtwert: 12 

Punktzahl Klassifizierung
20 fast so gut wie die Räuber
14 - 18 eine dringende Empfehlung
8 - 12 eine schöne Lektüre
2 - 6 eine respektable Lektüre
0 eine akzeptable Lektüre
-2 - -6 eine makelhafte Lektüre
-8 - -12 eine Enttäuschung
-14 - -18 gutes Origami-Potential
-20 ein bisschen besser als der Spaziergang von Rostock nach Syrakus

Somit erhält das Spiel im Morgengrauen von uns die Klassifizierung: eine schöne Lektüre


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